Schlussakkord
Die 16. Internationale Sommerakademie der Lüneburger Heide ist beendet
Der Konzertabend leuchtete ohne Ausnahme. Die jungen Musikerinnen und Musiker spielten ihre Instrumente hingebungsvoll und intim-persönlich. Sie alle zeigten eine beeindruckende Präsenz, die die Dringlichkeit des immanenten Ernstes ebenso bewies wie die große Freude am Musizieren. Der emphatisch-schwärmerische Ton der Jugend war der Kammerton des Abends. Und das allererste Mal in 16 Jahren bedankten sich am Ende die Sprecherinnen (es waren nur junge Frauen) im Namen der Studierenden für die „wunderbare Zeit“, die sie in Oldenstadt verbringen durften. Eine Zeit des Lernens, des Miteinanders, des Erfahrungsaustauschs.
Nun ist sie auch wieder Geschichte, die 16. Sommerakademie; beendet mit dem großen Abschlusskonzert im Langhaus Oldenstadt. Weil die vielen Danksagungen am Ende die Musik immer ein wenig zerreden, seien sie hier an den Anfang gestellt: Dr. Theodor Elster vom Vereinsvorstand bedankte sich bei allen Sponsoren und Unterstützern, ohne die die Veranstaltung in diesem qualitativ hochwertigen Rahmen niemals stattfinden könnte. Die Organisationshauptlast trug wie immer Birgit Alpers-Meyer, der mit den Jahren wechselnde, jedoch verlässliche Unterstützer zuwuchsen. Sohn Professor Hinrich Alpers hatte Dank zu sagen an alle seine Dozentenkollegen und das Orchester Wratislavia, das zum zwölften Mal geduldig mit den Soloinstrumentalisten die Werke einstudierte.
Die Haupteckpfeiler dieses Abschlusses waren die Violinkonzerte A-Dur und G-Dur von Wolfgang Amadeus Mozart (KV 219 und 216). Es erklangen jeweils die ersten Sätze. Das ist Dur-trunkene Hochglanzmusik aus der Hochphase des Violinspiels. Ostap Shpik (Ukraine/23) und Yang Zheng (China/29) verliehen den Noten eine zauberhafte Leichtigkeit, sie blieben den tänzerischen Elementen nichts an schwungvoller Eleganz schuldig.
Den Auftakt durfte Wei-Fang Chen (Taiwan/22) mit dem ersten Satz aus Beethovens Klavierkonzert Nr. 1 C-Dur op 15 gestalten. Das Orchester begann ein wenig brachial, aber die 22-Jährige besaß einen feinen Anschlag und entfaltete diesen Satz – noch Mozart-like – in wirkungsvoller Einfachheit. An die sehr ausführliche, virtuose Kadenz wagte sie sich aber offensichtlich nicht.
Die Klavier-Solo-Parts des Abends hatten allesamt eine sehr kontemplative Grundierung. Dabei verloren sich die Akteure jedoch nicht in grüblerischer Selbstzerfleischung. Shuri Soga (Japan/26) spielte den ersten Satz der Sonate a-moll von Franz Schubert. Die ist posthum erschienen und besitzt wohl eine Art Todesahnung, oder zumindest wie in Beethovens 5. Sinfonie das Anklopfen des Schicksals. Die Interpretin fand einen kraftvollen wie sensiblen Zugriff auf die Noten. – Danach Zihan Li (China/16) mit der Ballade Nr. 5 As-Dur von Frédéric Chopin. Die Partitur im durchgehenden Sechsachteltakt-Allegretto bearbeitet drei Themen und mehrere Variationen, um in prächtigen Schussakkorden zu enden.
Huiming Zhang (China/25) legte sich danach aus Maurice Ravels „Miroirs“ „Une barque sur l`ocean“ – die Barke auf dem Ozean – aufs Notenpult. Hier wird des Komponisten Wunsch, Bilder in Musik zu übertragen, am deutlichsten. In diesem Vortrag perlte es, es rauschte, schwoll, gluckste, rollte Welle auf Welle. Aber das Meer blieb friedlich. – Ein besonderes Stück war ohne Zweifel Alexander Skrjabins „Prélude und Nocturne op. 9 für die linke Hand“, entstanden, als der Komponist durch zu vieles Üben seine rechte Hand zu schonen hatte, weil sie lädiert war. Clara Schina (Deutschland/28) wagte sich daran. Betrachtet man das Notenbild, offenbart sich eine unglaubliche Kompaktheit mit vier Kreuzen und später fünf b als Vorzeichen. Einfach staunenswert, dass das jemand mit nur der linken Hand zu spielen in der Lage ist. Clara Schina war in der Lage.
Die absolut letzten Noten des Abends durfte Zeling Shen (China/25) erklingen lassen: Den dritten Satz aus Beethovens Klavierkonzert Nr. 1. Das muntere „Rondo. Allegro“ stellte unter ihren Händen wahrscheinlich einen neuen Geschwindigkeitsrekord auf. Die Solistin trieb das Orchester förmlich vor sich her, aber trotzdem verschluderte sie (fast) nichts. Sie verband mit kecker Lust das Polternde mit dem Perlenden. Und die Melodie ist ja sowieso ein schöner Rausschmeißer.
Nun ist es also vorbei. Fine. Aber die 17. Ausgabe im Jahr 2026 steht schon fest: 30. Juli bis 09. August. Wünschen wir ihr wieder ganz viele, wohlwollende und interessierte Konzertbesucher.
Barbara Kaiser – 11. August 2025








Endspurt mit Orchester
16. Internationale Sommerakademie absolvierte erstes Abschlusskonzert
Traditionell findet eines der beiden Sommerakademie-Abschlusskonzerte im Kloster Medingen statt, weshalb Hinrich Alpers es nicht versäumt, der Hausherrin, Äbtissin Dr. Püttmann, mit einem Blumenstrauß Dank zu sagen. Dafür, dass einige Studenten ihre Unterrichtsstunden dort absolvieren und dass in der kleinen Kirche das Konzert stattfinden darf. Es geht immer recht eng zu; aber mit den Jahren haben sich Gäste und vor allem das Orchester, das Kammerorchester Wratislavia aus Wrocław, wohl daran gewöhnt. – Die vorletzte Runde also, ist die Woche voller wunderbarer Musik wirklich schon wieder vorbei? Den Zuhörern brachten diese Tage staunenswerte Hörerlebnisse und Begegnungen mit jungen und ganz jungen Instrumentalisten, die anrührten und zu überzeugen wussten durch die Ernsthaftigkeit ihres Tuns.
Das erste Abschlusskonzert durfte Norina Hirschi (Schweiz/23) mit dem Allegro con brio aus Beethovens Klavierkonzert Nr. 1 C-Dur op. 15 eröffnen. Das Konzert nötigte dem Komponisten lange fünf Jahre ab und wurde erst fertig, als das zweite schon abgeschlossen war. Beethoven war in Wien im Verständnis der Konzertbesucher der Nachfolger Mozarts geworden. Und in diesem Stil kommen auch die beiden ersten Klavierkonzerte daher.
Das Orchester ging sein langes Vorspiel ein wenig schwerfällig an, aber die Solistin kam nach einem anfänglichen Stolpern sehr gut in die fröhlichen Läufe und poetische Verspieltheit. Norina Hirschi agierte mit Sinn für die eigene Pointe, vor allem in der schönen, emphatischen Kadenz.
Danach Mozarts Violinkonzert Nr. 3 G-Dur KV 216. In die Sätze teilten sich Saki Shimomiya (Japan/26), Tara Iman Bongardt (18) und Elisa Speer (beide Deutschland/19). Es war ein charmant musziertes Vergnügen: Der brillante Wirbelwind Shimomiya sehr souverän mit atemberaubender Kadenz. Das Adagio von Satz zwei: Was für ein feiner Strich, die Interpretin Bongardt ganz hingegeben. Und das Rondeau Allegro zauberte in prickelndem Concertare mit Feuer. Das Orchester unter Konzertmeisterin Roksana Kwaśnikowska bereitete den Solisten ein durchhörbares Klangbett. Nirgendwo verpatzte Einsätze oder Ungenauigkeit.
Die drei folgenden Klavier-Soli waren reine Freude. Hans-Derek Yu (USA/24), der bereits in einem Akademiekonzert mit Strawinskys „Petruschka“ reüssiert hatte, legte sich dieses Mal Frédéric Chopin und dessen Sonate b-moll op. 35 aufs Pult (Grave – Doppio movimento). Der junge Mann spielte mit großartiger Eindringlichkeit, die Tempi wirkten nie willkürlich, sondern fanden einen suggestiv geschlossenen Ton.
Zitong Li (China/17) brachte Robert Schumanns „Faschingsschwank aus Wien“ mit. Intermezzo und Finale erklangen vehement und lustvoll, in einer entfesselten Unbedingtheit. Danach der Benjamin: Khongor Buyandalai (Deutschland/11). Das spielende Kind hat immer einen Bonus – den brauchte dieser Junge nicht. Er überzeugte mit Mozarts Rondo alla turca aus der Klaviersonate a-moll KV 331. Das ist die mit dem Wiegenlied im ersten Satz und der wilden Jagd des türkischen Marschs. Der Elfjährige brachte der Partitur eine temperamentvolle Liebe entgegen, suchte ihre Zartheit genauso wie die seelenvoll melodischen Partikel, hatte aber ganz viel Spaß am schnellen Spiel des Schlusses.
Abschließend begleitete das Kammerorchester Kateryna Markina (Ukraine/17) für das Allegro aus Mozarts Violinkonzert A-Dur KV 219. Es ist das anspruchsvollste der fünf Violinkonzerte des Komponisten; nach dessen Vollendung verweigerte sich der Salzburger diesem Instrument. Diese Noten sind eine Klangdroge auch schon im ersten Satz voller elektrisierender Spannung. Im Spiel ließen die enge Verwebung zwischen Solo und Tutti keine Wünsche offen. Ein gelungener und schöner Abschluss dieser zwei Konzertstunden in Medingen. Das Publikum verließ sicherlich sehr zufrieden das Haus.









Barbara Kaiser – 09. August 2025
Sinfonik zu Fünft
Überwältigendes drittes Akademiekonzert
Wer eine Rangliste aufstellen wollte, muss der Entscheidungsfreudigen einer sein. Welcher Darbietung sollte man den Vorrang einräumen? Dem Ravel? Dem Chopin? Oder Chausson, dem unbekannteren Zeitgenossen von César Franck? Das dritte Akademiekonzert bewegte sich auf luxuriösem musikalischem Niveau. An diesem Abend wurde mit spürbarer, sich steigernder Begeisterung agiert; so flott wie empfindsam. Aber vielleicht dieses Mal der Reihe nach?
Die zwei Konzertstunden eröffnete Huiming Zhang (China/25) mit „Noctuelles“, dem Nachtfalter, aus Maurice Ravels „Miroirs“. Entstanden im Jahr 1905 hat die Sammlung fünf Stücke, die allesamt technisch herausfordernd und schönster Impressionismus sind. So spielte der junge Mann aus dem Reich der Mitte ohne die mindeste Zimperlichkeit. Bei ihm handelte es sich um einen aktiven Nachtfalter, der um die Lichtquelle schwirrt, bis er – Alarm in der Partitur – dem Licht zu nahe kommt. Armer Falter.
Danach hatte Jinzhu Li (China/18) ihren Auftritt. Die Geigerin legte sich das „Poème“ von Ernest Chausson aufs Notenpult. Am Flügel war ein wiederholt bewundernswerter Kensei Yamaguchi ihr einfühlsamer Partner. Das Stück sollte eigentlich ein Violinkonzert werden, aber der Komponist traute sich das nicht zu. Sein „Poème“ ließ auch den Musikverlag Breitkopf und Härtel in Leipzig zweifeln, sie fürchteten um ihren Profit. Hielten es für „vage und bizarr“ und „außerordentlich schwierig“. Am Ende haben sie es doch gedruckt, das Stück Musikliteratur nach Iwan Turgenjews „Das Lied von der triumphierenden Liebe“. Jinzhu Li ließ viel Raum für Stimmungsmalerei. Rhapsodisch, mit auf- und abfallender Spannung steigerte sie sich, in höchstem Maße entschlossen, wirklich in den Triumph der Liebe. Zwischen wem auch immer – es war ein wildes Liebesspiel bis zur Erschöpfung. Bravo!
Danach hatte die jüngste Teilnehmerin, Luise Bold (Deutschland/11) ihren Auftritt. Sie erwies sich als fingerflink bei Maurice Ravels „Jeux `d Eau“ (Wasserspiele). Bei aller Präzision und wacher Differenzierung blieb bei ihr alles leicht. Es plätscherte, sprühte, gluckste und floss…
Ihr folgte Zitong Li (China/19) nach mit Frédéric Chopins „Andante Spianato et Grande Polonaise Brillante“ Es-Dur p. 22. Zu Chopins Polonaisen muss man eigentlich nichts sagen. Obwohl der Komponist die verdorbene Wiener Tanzmusik à la Lanner und Strauß hasste, schuf er doch selber solch schwungvolle Noten, zu denen man ja auch tanzt. Im Jahr 1836 veröffentlicht, wiegt sich das Andante gleichmäßig und sanft mit Effekten in leisem Sechsachtel; bis, einem Fanfarenstoß gleich, die überschwängliche Melodie anhebt. Zitong Li musizierte auf lustvolle, intelligente Weise in süffigem, farbbrillantem Klang. Man wartete förmlich darauf, dass auch der Flügel zu schweben begann. Und ein Gute-Laune-Stück ist so eine Polonaise allemal.
Nach der Pause die Kammermusik: Klavierquintett f-moll von César Franck. Die Dozenten Carolin Frick (Viola), Mark Schumann (Violoncello) und Hinrich Alpers (Klavier) unterstützten und geleiteten die Geiger:innen Sofia Vinkel (Estland/24), Chih-Hsien Hung (Taiwan/23), Tara Iman Bongardt (Deutschland/18) und Ostap Shpik (Ukraine/23).
Der Komponist hatte nach der Uraufführung nicht viele Freunde für dieses Quintett gewinnen können. Camille Saint-Saëns ließ sich zwar für den Klavierpart überreden, ließ aber nach dem Auftritt seine Partitur mit der persönlichen Widmung von Franck im Theater zurück. Das darf man ungehörig und einen Fauxpas nennen. Für das Publikum im Langhaus Oldenstadt war die Antwort auf die Frage, ist es „wahre Musik“ (Debussy) oder eine „Geschmacklosigkeit“ (Saint- Saëns) klar: Der Beifall sprach Bände. Es war Sinfonik zu fünft, was das Quintett anbot. Was für ein faszinierendes Miteinander in diesem spätromantischen Monumentalstil! Wie dramatisch, wie sentimental, wie schwungvoll und träumerisch – eine sengende emotionale Kraft kam da vom Podium und saugte die Zuhörer in ihren Strudel der aufblühenden Musikarchitektur. Es war zum wiederholten Male eine neue Hörerfahrung. Auch wenn man sich leise vielleicht fragen mag: Darf einer, der von der Orgel kommt, für diese kleine Form schreiben? Das Ergebnis überwältigte und sagt: Ja, darf er.
Barbara Kaiser – 07. August 2025







Bach, Beethoven, Liszt und Brahms!
Viel Geist und Gespür: Das zweite Akademiekonzert der Sommerakademie
Was für eine Energie! Selbst im Forte nie zu laut, jedoch von einer Intensität, die von innen kommt. So präsentierte sich im zweiten Akademiekonzert der Sommerakademie Clara Schina (Deutschland/28) mit ihrer Interpretation des „Ricordanza“ aus Franz Liszts „Ètudes d`exécution transcendante“. Die neunte von 12 Etüden fordert feine Fingerarbeit für die wilden und sanften Kadenzen, Clara Schina ließ es perlen und schwingen. Mit langsam-melancholische Stücken hat man es vor Publikum ja schwerer, als wenn man – gerade von Liszt – ein Renommierstück wählte, aber die junge Künstlerin ließ die Musik organisch atmen, klar und frisch.
Das zweite Akademiekonzert präsentierte sich auf hohem musikalischem Niveau. Beginnen durfte es Mio Watanabe aus Japan (21) mit Präludium und Fuge a-moll aus Bachs „Wohltemperiertem Klavier“. Sie absolvierte es präsent wie fragil, die Fuge vielleicht ein wenig schwerfälliger als das Präludium, insgesamt jedoch plastisch und trennscharf. – Abgelöst wurde die Pianistin von Chih-Hsien Hung (Taiwan/22) mit dem Allegro der Violinsonale F-Dur op. 24 von Ludwig van Beethoven. Eine von zehn Sonaten, die der Meister für dieses Instrument ersann. Die „Allgemeine musikalische Zeitung“ lobte im Jahr 1802 den originellen, feurigen Geist des Komponisten. Wir konstatieren, dass der wachsende symphonische Anspruch Beethovens sich hier Raum verschafft. Die junge Geigerin, eingebettet in den verlässlichen Begleiter am Flügel, Kensei Yamaguci, spielte mit dieser Weltläufigkeit, die dem Komponisten gefallen hätte. Zudem bezaubert sie durch Grazie.
Vor der Pause brachte Saki Shimomiya (Japan/26) den ersten Satz der Violinsonate A-Dur op. 100 von Johannes Brahms zu Gehör. Wieder in einem unaufdringlichen Zusammenspiel mit Yamaguchi, besaß diese Darbietung einen die Aufmerksamkeit erzwingenden Klang. Es ist ein zärtlicher Brahms, der „in Erwartung einer lieben Freundin“ komponierte. Nein, nicht Clara Schumann, sondern die Sängerin Hermine Spies, wie die Chronisten vermeldeten.
Danach wurde es furios. Ein anderes Wort kann es für die Aufführung des Klavierquintetts f-moll op. 35 von Johannes Brahms nicht geben. Das Spiel der Akteure folgte weniger der rationalen Gewissheit des Durchdachten, sondern viel mehr den Gefühlsgewalten einer verletzlichen Seele. Es ist viel Geist und Gespür zu investieren in dieser kammermusikalischen Polyphonie. Denn Clara Schumann wollte die Noten dieses Meisterwerks „mit einem Füllhorn“ über ein ganzes Orchester ausstreuen.
In die vier Sätze Allegro, Andante/Adagio, Scherzo/Allegro und das Finale/Allegro teilten sich Saki Shimomiya (Japan/26), Chun-Chen Wang, Yun-Chen Wu (beide Taiwan/21) und Yang Zheng (China/24). Am Flügel saßen Iva Zurbo (Albanien/23) und Zihan Li (China/16). Carolin Frick und Mark Schumann waren die souverän und überzeugend agierenden Dozenten an Viola und Violoncello. Die Akteure ließen den Brahms`schen Tragödienton nie dominieren, die Spannung des am Ende umjubelten Spiels bezog das Quintett aus der immer angemessenen Mäßigung des „symphonischen Füllhorns“, aus der wohldosierten Opulenz und der nie sinnentleerten romantischen Emphase. Es war atemberaubend.
Barbara Kaiser – 06. August 2025




Petruschka, vivat!
Wunderbares erstes Akademiekonzert der Sommerakademie mit einem besonderen Glanzpunkt
Es ist ja immer so: Einer muss der Beste sein. Und diese Krone, die Goldmedaille, das oberste Treppchen, gebührte am Abend dieses ersten Akademiekonzerts Hans-Derek Yu mit seiner Interpretation „Trois Mouvements de Petrouchka“ (Drei Sätze aus Petruschka) von Igor Strawinsky. Die Klaviermusik zum Ballett des Russen aus dem Jahr 1921. Diese traurige Erzählung über einen Harlekin, der tragisch in die Ballerina verliebt ist, die aber dem Mohren den Vorzug gibt (rassistisch war der Begriff damals nicht besetzt!), und den Harlekin deshalb in einem Anfall von Eifersuchtsraserei tötet. – Der 23-jährige US-Amerikaner brannte ein Feuerwerk ab, mit enormem Enthusiasmus und Mut zum Übermut. Er malte mit seinem Vortrag die Bilder: Sind es Marionetten, die zum Leben erwachen, oder sind es doch Menschen? Yu bot eine sinnensatte Tonkunst, die übers Ohr aufs Auge zielte. Vielleicht entlockte dem Zuhörer Artur Rubinsteins Klage, bei Strawinsky sei das Klavier ein Schlaginstrument, ein Lächeln. Der Komponist widmete das Werk trotzdem seinem Landsmann (Polen gehörte damals zum russischen Reich). Wahrscheinlich, weil es sowieso nicht jeder spielen kann, denn es ist eine der anspruchsvollsten und virtuosesten Klavierpartituren. Rubinstein spielte es – natürlich, genauso wie Tschaikowskys 1. Klavierkonzert. Jedoch nicht ohne auch dabei zu jammern über die Schwierigkeiten und die Behauptung, es sei unspielbar weil zu schwer, in die Welt zu setzen. Hans-Derek Yu ist Meisterschüler bei Bernd Goetzke und es war ein Hörgenuss. Ob er so wie Rubinstein dachte?
Ansonsten war der Konzertabend eher klassisch-romantisch mit Beethoven, Mozart und Dvořak besetzt. Yeiin Lee eröffnete mit der Violinsonate G-Dur op. 30,3 von Ludwig van Beethoven. Die 25-jährige Südkoreanerin spielte den ersten Satz (Allegro) mit Präsentierlust, ohne sich mit ihrem Begleiter Kensei Yamaguchi am Flügel auf einen Wettstreit einzulassen. Die Zar Alexander gewidmete Sonate hat kapriziöse Einfälle, hochfahrende Dreiklänge und Klavierseufzer, die schön zur Geltung kamen.
Danach setzte sich Zihan Li (China) ans Klavier für den 3. Satz der „Sturmsonate“ d-moll op. 31,2 des Komponisten. Die erst 16-Jährige vollbrachte das Stück klanglich attraktiv, ein bisschen brachial vielleicht. Ihr Ausdrucksarsenal gefiel sich im Forte – also mehr das Pferd vorm Fenster, das Beethoven angeblich beim Komponieren gehört haben soll; Ansätze für Zartes gab es jedoch ohne Zweifel.
Enting Zhu aus China interpretierte Antonin Dvořaks Ballade op. 15, diese melancholische Musik, die wohl eine Erinnerung des Komponisten an Schottland sind. Die 18-Jährige Geigerin trieb die Noten in Regionen, wo Musik Aufruhr ist oder – Gefühl.
Nach der Pause Mozart. Sein Klavierquartett Es-Dur KV 493. Die Sätze Allegro, Larghetto und Allegretto teilten sich bei der Violine Tara Iman Bongardt (19/Deutschland), Yang Zheng (29/China) und Yeiin Lee (25/Südkorea). Den Klavierpart übernahmen die beiden Taiwanesinnen Ting-Yi Liu und Wie-Fang Chen (20/22 Jahre). Ganz sicher und freundlich geführt wurden die Studentinnen von Carolin Frick (Viola) und Mark Schumann (Violoncello). Das Quartett bot ein fein und achtsam ausbalanciertes Miteinander, ästhetisch, voller Eleganz. Beim Larghetto fielen Streicher und Klavier ein wenig auseinander, da mangelte es am energischeren Zugriff, um die Spannung zu halten. Ansonsten aber war Mozarts Werk in dieser Aufführung, was es ist: Ein freundliches Stück Musikliteratur, unmittelbar entstanden nach dem „Figaro“. Das auf die solistische Qualität des Klaviers setzt, aber voller lyrischer Töne und melodisch weit ausgesponnener Themen ist. „Well done“, sagt der Engländer. Es war ein vielversprechender Abend.
Barbara Kaiser – 04. August 2025



Die Zeit im Sauseschritt
Eine Fotoerinnerungschau durch 15 Jahre Sommerakademie
Mit dem ihm eigenen trockenen Humor tat Rolf Alpers kund, sein Sohn und er hätten sich entschlossen, in diesem Jahr eine Veranstaltung gemeinsam zu bestreiten. Weil es besser für die Ohren der Zuhörer des ersten Lunchkonzerts der Sommerakademie war, übernahm Sohn Hinrich den musikalischen Teil und spielte aus „Kinderszenen“ von Robert Schumann. Seinem Vater überließ er das Statistische. 15 Jahre Sommerakademie! Was für ein Zeitraum!
„Die Zeit vergeht, immer schneller werden ihre eiligen, kleinen Schritte. Wie goldene Stäubchen im roten Strahl der Sonne, so flimmern in der Zeit die Menschen auf und verschwinden wieder.“ Das schrieb Maxim Gorki, und so kam es einem vor bei der Power-Point-Präsentation, die Rolf Alpers akribisch vorbereitet hatte. Wobei er sich zum Glück für alle Zuhörer:innen nicht im Detail verlor und trotzdem alles Wichtige mitzuteilen wusste. Da „flimmerten“ Musiker:innen und Referenten durch die Jahre, da erinnerte man sich plötzlich an den einen oder anderen Dozenten, kam einem ein Gesicht bekannt vor. Wenn Rolf Alpers alles korrekt referierte – wovon auszugehen ist – dann haben diesen Meisterkurs mit dem Jahr 2025 insgesamt 615 Student:innen durchlaufen. 615 mal ein verschiedenes musikalisches Niveau, auf das sich die Lehrenden einzustellen wussten, sodass am Ende immer ein Zugewinn an Interpretationsverständnis und neue Blickwinkel auf die Noten stand.
Es galt vielen Helfer:innen und Sponsoren zu danken. Es wurde erinnert an Maren Henke und Hans-Jürgen Wandtke, zwei gute Seelen des Teams, die im Vorjahr verstarben. Die Herausforderung Corona war, von allen angenommen, mit Bravour gemeistert worden; nichts musste ausfallen, kein Krankheitsausbruch war hier passiert. In diesen schwierigen Jahren von 2020 bis 2022 schrieben sich 51, 44 beziehungsweise 48 Student:innen in die Kurse ein und alles ging glücklich aus. Vielleicht, weil man noch achtsamer miteinander umging?
„Die Zeit ist ein kostbares Geschenk, uns gegeben, damit wir klüger, besser, reifer, vollkommener werden“, schrieb Thomas Mann im Jahr 1950 an einen Freund. Als eine der zahlreichen Zuschauerinnen, die diesen kulturellen Hochkaräter im Landkreis zu schätzen weiß, kann ich das nur unterstreichen. Klüger bin ich auf jeden Fall geworden. Ob besser – das weiß ich nicht. Reifer, da ist schon das Alter schuld. Und vollkommener? Beispielsweise wusste ich rein gar nichts über den amerikanischen Komponisten und Pianisten Frederic Rzewski (1938 bis 2021). Im Jahr 2018 stellte Ursula Oppens dessen „36 Variationen zu einem chilenischen Protestlied“ vor. „El pueblo unido jamas sera vencido“ – Das vereinte Volk kann nicht besiegt werden. Das war ein atemberaubender Glanzpunkt in 15 Jahren. Aber natürlich bleiben auch John Cages präpariertes Klavier und die 100 Metronome von Ligeti in Erinnerung. Weil solche musikalischen Ereignisse in einem normalen Konzertsaal nicht passieren. Vielleicht, weil dort auch zu viel Routine herrscht und man fürchtet, das Publikum nicht „mitnehmen“ zu können jenseits der Pfade Beethoven-Mozart-undsoweiter.
So blieb man dankbar zurück, als Rolf Alpers nach einer korrekten Schulstunde, nach 45 Minuten, seinen Vortrag schloss. Was für ein Glück für die Region, die Internationale Sommerakademie. Dank allen, allen, allen!
Barbara Kaiser – 02. August 2025


„Some cultural glamour“
Startschuss für die 16. Internationale Sommerakademie – 44 Teilnehmer:innen
Mit „it`s a good sign!“, eröffnete Professor Hinrich Alpers die 16. Internationale Sommerakademie, denn die Sonne lugte durch die Wolken überm Historischen Zentrum in Oldenstadt. Sonst war alles wie immer: Die aufgekratzte, fröhliche Stimmung voller Erwartungen ist zwischen Teilnehmer:innen, Organisator:innen und Lehrkräften förmlich spürbar. Es möge losgehen mit dem Lernen, mit dem Austausch, mit dem Sich-Präsentieren in den Konzerten und dem wunderbaren Gefühl zwischen Lampenfieber und dem Abfallen der Anspannung bei Applaus.
„Happy faces“ machte Alpers zudem aus, als er allen Sponsoren und den fleißigen Helfern dankte. In der Küche wurden schon eifrig die Möhren geschabt für den Auflauf auf dem Mittagstisch. Aber nun ist die Meisterklasse erst einmal eröffnet. Bekannte Gesichter, neue Namen, die Jüngsten geboren 2011 und 2014, viel Neugier auf das Kommende. Sie alle brächten „some cultural glamour“ in die Region, zeigte sich Dr. Björn Hoppenstedt, Erster Kreisrat, in seinem Grußwort überzeugt. Die Vertreterin des Bürgermeisters Uelzen, Christina Nenke, ersparte zwar den Zuhörern nicht den erneuten Exkurs in die Geschichte Oldenstadts, am Ende sagte sie jedoch, ehe sie den Gästen „viel Freude und Bereicherung“ wünschte, sehr Wahres. Auf die Frage „Worauf können wir uns freuen“, gab sie die Antwort selber: Auf die Konzerte. Und damit hat sie Recht.
Hinrich Alpers hatte auf die Frage vorab nach Erwartungen, Befürchtungen und Gewissheiten eine sehr entspannt-souveräne Antwort parat: „Ich bin sehr froh darüber, dass alles Organisatorische inzwischen wirklich läuft wie am Schnürchen. Das war es jedenfalls, was in den ersten Jahren die meiste Arbeit gemacht hat – alles von Null auf planen, beim zweiten und dritten Mal manches nicht mehr so genau in Erinnerung gehabt zu haben und es nochmal neu erfinden zu müssen. Da geht wirklich nichts über Erfahrung. Inzwischen haben wir einfach im Gespür, welcher organisatorische Schritt wie lange dauern wird, wann er getan werden muss, und was getan werden kann, wenn mal was schiefgeht. Ich freue mich jedenfalls jedes Jahr wieder aufs Neue darauf, das ist Erwartung und Gewissheit zugleich, und Befürchtungen habe ich eigentlich keine.“
Nun geht es also los. Im Gebäude der Musikschule probierte eine Schülerin schon lange vor der Eröffnung Beethoven in Dauerschleife – es klang schon sehr vielversprechend. Die 16. Internationale Sommerakademie ist eröffnet! Bis zum 10. August geht es jetzt ausschließlich um die Musik.
Barbara Kaiser – 01. August 2025




Im Dialog
„Klangfarben“ – BBK-Ausstellung anlässlich der 16. Internationalen Sommerakademie und Fotos von Hans Lepel aus dem Vorjahr
Es gilt hier, zwei Ausstellungen zu besprechen, die zehn Tage lang die Räumlichkeiten in Oldenstadt prägen werden: Die „Fotoimpressionen 2024“ von Hans Lepel und „Klangfarben“ von Künstler:innen des Bundes Bildender Künstler. Denen es, obgleich mit Unterbrechungen, Tradition ist, die Internationale Sommerakademie mit ihren malerischen Annäherungen an Musik zu begleiten.
Vernissage zur Schau ist am Samstag, 02. August 2025, um 17 Uhr, im BBK-Ausstellungsraum Oldenstadt. Die Fotografien von Hans Lepel hängen schon im Langhaus. Geöffnet ist stets zu den Konzertzeiten der Sommerakademie bis Sonntag, 10. August 2025.
Hans Lepel: Die Fotos, in Farbe oder Schwarzweiß, sind in diesem Jahr atmosphärischer, emotionaler. Wenn man ganz stillsteht, hört man die Geigentöne, hervorgebracht von Stefan Hempel und Erik Schumann. Die einen ekstatisch-wild, die anderen in zartem Piano. Man wiederbelebt das Brummeln der Kontrabässe, das Sphärische hoher Spitzentöne und die Atemlosigkeit des Presto. Der Betrachter sieht die Konzentration und spürt die Erleichterung der Pianisten nach gelungenem Auftritt. Man weiß um die Freude und Konzentration beim Spiel oder die Intimität der leisen Gespräche im Dunkeln nach den Konzerten.
Hans Lepel begleitet seit vielen Jahren die Internationale Sommerakademie mit der Kamera. Er ist der stille Beobachter, der den Moment festzuhalten weiß, der am meisten von seinem Geschehen transportiert, wo sich Sinnliches und Sinnbildliches verbinden. So wie es der amerikanische Fotograf Ansel Adams (1902 – 1984) einst verstand: Die Kamera als „ein Instrument der Liebe und der Offenbarung“. So handhabt Lepel die seine – zu unserer Freude.
BBK-Klangfarben: Es sind nur acht Künstlerinnen und Künstler, die sich in diesem Jahr an der Ausstellung beteiligen. Das darf man wenig nennen, denn es gab schon andere Zahlen. Leider haben sich die Teilnehmenden der – zugegeben vielleicht – ein wenig trivialen Idee, dem Vorschlag aus dem Vorjahr verweigert, doch einfach einmal zu einem populären Musikstück zu arbeiten. Man wolle sich ja nicht der Musik zu Füßen werfen (schade!), sondern einen Dialog kreieren zwischen Musik und Kunst.
Simona Staehr, Vorsitzende des BBK, beteuert, dass man bei Tönen ja Bilder im Kopf habe. Und Renate Schmidt ergänzt, die musikalische Sprache, also „Töne“ und „Klänge“, übernommen zu haben. Na gut, man kann es auch verkomplizieren. Name ist Schall und Rauch, steht schon bei Goethe. Die Künstler:innen wollen es so; ich finde jede Erklärung, jedes Konzept, jede „Philosophie“ überflüssig. Aber am Ende denkt ja sowieso jeder Betrachter, was er mag, was ihm einfällt, was er empfindet. Und das ist gut so.
Auf den Bildern von Simona Staehr bläst ein Kind eine Tute – vielleicht produziert es damit die vielen bunten Seifenblasen – ein Markenzeichen von Staehr -, auf jeden Fall ist dieses Großformat lebensfröhlich. „Man beachte“, sagt die Künstlerin, „dass die vier kleineren Bilder daneben wie auf Notenlinien gehängt sind.“ Auf imaginären Notenlinien – es könnte eine Folge von C-G-F-A sein.
Renate Schmidt hat im Monat Juni einen Rundgang durch ihren Garten gemacht und alles Blühende fotografiert: Rosen, Rhododendren, Gräser, Margariten. Die Fotos hat sie dann zu Spiralen geschnitten, weil eine Spirale für sie ein Klang ist, wie sie sagt. Vielleicht in Erinnerung an diese Klangspiele, die manchmal als Spirale gehängt sind. Angeordnet auf einem Blatt, ist das hübsch bunt – aber auch konstruiert. Und: erklingt dabei Kopf- Musik?
Kerstin Sørensen brachte „Abendstimmung“ und „Birkenwald“ mit. Dazu fiele einem schon was ein. Aber auch ohne brachiales Überstülpen irgendwelcher Noten singt und summt und tönt es aus diesen Aquarellen. Nein, nicht die Dr.-Schiwago-Melodie, eher das Summen der Hummeln in der Heide, vielleicht auch ein leises Blöken der Schnucken?
Wenig anfangen kann man mit Constanze Straubs Titel-Behauptung „So klingt Rot“. Es sind informelle Arbeiten, eher düster. Es ist wohl Moll. Und auch Paulina Klopots Fotografien zur Frage „Wie klingt das Blau?“ fassen den Betrachter nicht an, weil er nicht mal ein kleines Stückchen Himmel oder Meer entdecken kann.
Die Ausstellung scheint also insgesamt ein wenig kopflastig. Bloß, weil man sich nicht der Musik zu Füßen werfen wollte! Wenig Schwung, wenig Verve, kaum Überwältigung. Wohin sind die Ausstellungen, in denen Vera Dornfeldt ein zauberhaft-zartes „Pizziccato“ in Blau tupfte, einer Kornblume nicht unähnlich? Oder Waldemar Nottbohm seine Skulptur „Scherzo“ in den Raum stellte, ein sich windendes, schlingendes Medusenhaupt, das einen einfangen will, zum fröhlichen Sechsachteltakt, in dem ein Scherzo steht…
Gehen Sie trotzdem rein, liebe Leserinnen und Leser, denn Schwung, Verve, Überwältigung und eine Menge Faszination bringt ihnen ja die Musik der Konzertabende.
Barbara Kaiser – 01. August 2025



