Presse

Schlussakkorde – Dankesreden

Letztes Konzert der Sommerakademie mit triumphalen wie innigen Momenten

Es muss immer viel geredet werden nach Ende eines solch erfolgreichen Projekts. Auch wenn dieses Projekt den Kinderschuhen längst entwachsen scheint, es bleibt doch immer neu. Die 15. Internationale Sommerakademie sah mit 70 Student:innen einen absoluten Teilnehmerrekord; aber auch die Besucherzahlen konnten sich sehen lassen. Das Abschlusskonzert, das wieder mit Tangorhythmus und Dreivierteltakt von den Kontrabässen Open Air eröffnet worden war, erlebte ein voll besetztes Langhaus in Oldenstadt und ein enthusiastisches Publikum – was nicht nur an den Kommiliton:innen der Vortragenden lag. –

Für seine Sätze, leider müsse ja auch immer über Geld geredet werden, weshalb man den treuen Sponsoren sehr dankbar sei, erhielt der Vorsitzende des Sommerakademie-Vereins, Dr. Dirk Jaskolla, Szenenapplaus: „Weil es in diesen Zeiten nicht selbstverständlich ist, der Kultur (!) Mittel zur Verfügung zu stellen.“ Und er ergänzte: „Wir partizipieren von dieser großen künstlerischen Qualität der Musikveranstaltungen und haben es überhaupt nicht weit dafür.“

Dann begann das Konzert und es ist wie immer vergebliches Mühen, die Stimmung der Auftritte in ein rezensorisches Fazit einsperren zu wollen. Die Akteure blieben nichts schuldig, was Musik lebendig macht. Der Beginn kam Stephanie Ding Draughon (21/USA) zu, die das Klavierkonzert Nr. 2 f-moll op. 21 von Frédéric Chopin mitgebracht hatte. Aus dem ersten Satz, dem Maestoso, machte sie eine fröhlich-lärmende Lebendigkeit mit inniglichem Gefühl ohne falsches Sentiment. Chopin schrieb das Werk 19-jährig in den Jahren 1829/30. Seine brillante Virtuosität, die schillernden Passagen, die kunstvollen Ornamente waren bei der Solistin gut aufgehoben; sie stellte die Noten in den Mittelpunkt, nicht sich selbst.

Es folgte das Violinkonzert A-Dur KV 219 von Wolfgang Amadeus Mozart, das eine chinesische Angelegenheit war. Die Sätze Allegro aperto, Adagio und Tempo di Minuetto teilten sich Fiona Zhonghan Chen (21), Anqi Lai (20) und Kaixiang Wang (21). Fiona Zhonghan Chen ist ein musikalischer Orkan, das hatte sie schon in einem vorangegangenen Konzert mit dem Paganini bewiesen. Man sieht ihr die Lust am Musizieren an. Die Kadenz war zephirzart. Anqi Lai erschloss sich das Adagio eindrucksvoll, vielleicht waren die Akzente, die Phrasierungen, ein bisschen zu stark. Für den dritten Satz legte Kaixiang Wang eine traumwandlerische Sicherheit an den Tag, spielte erfrischend ungekünstelt.

Nach der Pause saß die jüngste Teilnehmerin, die erst zehnjährige Luise Bold (10/Dt.), am Flügel. Das Spinnerlied op. 67,4 von Felix Mendelssohn-Bartholdy imaginierte unter ihren flinken Fingern das sich drehende Spinnrad auf schöne Weise. Ebenfalls von diesem Komponisten erklangen danach, gespielt von Felicia Chang (17/China), die Variations Sérieuses op. 54 ernsthaft, entschlossen und ausdrucksstark.

Danach eine Erstaufführung, was es nicht so oft gibt: Von Nino Rota (1911 bis 1979) hatte der Kontrabassist Anton Kammermeier (25/Dt.)  dessen „Divertimento Concertante“ für Streicher bearbeitet. Gemeinsam mit dem Kammerorchester Wratislavia aus Wrocław brachte er es nun zu Gehör. Der Italiener Rota komponierte über 150 Filmmusiken, für Fellini, Visconti und Coppola; für die zu „Der Pate“ erhielt er einen Oscar. Trotzdem sah er sich durchaus als klassischer Komponist. Sein „Divertimento Concertante“(also: ein konzertantes Vergnügen) ist eine Mischung zwischen Hollywood-Klamauk und eine vage Erinnerung an die „Romeo und Julia“-Ballettmusik von Sergej Prokofjew. Da ist eine unterhaltsame Leichtigkeit – die so schwer zu machen ist! – mit unerwarteten Überraschungstönen. Ein burlesker Marsch tanzt sich durch alle Tonarten und ist ein veritabler Rausschmeißer.

Anton Kammermeier spielte es als das, was es wahrscheinlich sein soll: Ein Schelmenstück. Mit dem Charme der Übertreibung und in der gespannten Stille der Zuhörer arbeitet er sich durch die schwierigen Passagen, als wäre es keine Kunst. Schwungvoll-schmissig, jenseits jeden andächtigen Romantisierens, ließ er das so oft unbeachtete Instrument, den Kontrabass, funkeln. Wunderbar!

Das wirklich letzte Musikstück – ehe die Blumensträuße verteilt wurden – durfte Nina Frey interpretieren: Das Rondo Allegro, den dritten Satz aus Beethovens Klavierkonzert Nr. 3 c-moll op. 27. Die erst 15-Jährige schlug sich wacker. Ihr Spiel war lustvoll, aber nicht auf die naive Spielfreude beschränkt. Jedoch auch nicht akademisch blass. Zwei Tage zuvor erklang das gesamte Konzert schon einmal in Medingen. Dort war Taeeun Kim (Südkorea) für den dritten Satz zuständig. Dem konnte Nina Frey noch nicht das Wasser reichen, aber ihr Musikerkollege ist auch doppelt so alt wie sie.

Die 15. Internationale Sommerakademie ist also Geschichte. Das Publikum erlebte zum wiederholten Male hochkarätige Musikinterpretationen. Altbekanntes, das manchmal wie neu erstrahlte. Oder nie Gehörtes, das im Gedächtnis bleiben wird. Diese Stadt hat mit der jährlichen Veranstaltung eine Perle, die es zu putzen gilt und zu pflegen. Denn wie sagte es Dr. Jaskolla: Wir müssen nicht mal weit fahren für solch erlesene künstlerische Qualität. Der 16. Jahrgang der Sommerakademie ist im Jahr 2025 bereits geplant: Vom 01. bis 10. August. Man sollte in diesem Zeitraum keinen Urlaub machen…

Barbara Kaiser – 29. Juli 2024

Stephanie Ding Draughon nach Chopins Klavierkonzert
Felicia Chan beginnt Mozarts Violinkonzert A-Dur
Anqi Lai im zweiten Satz des Mozart-Konzertes
Kaixiang Wang spielt den dritten Satz Mozart
Luise Bold spielt Mendelssohns „Spinnerlied“
Dank für Felicia Chan nach Mendelssohns „Variations Sérieuses“
Anton Kammermeier als Solist in seiner eigenen Bearbeitung von Nino Rotas „Divertimento Concertante“
Nina Frey beschließt das Konzert als Solistin im 3. Satz von Beethovens Klavierkonzert Nr. 3
Dank an Bernd Goetzke…
… den künstlerischen Leiter Hinrich Alpers …

… und an Birgit Alpers-Meyer, die wie immer für die Organisation der Sommerakademie verantwortlich zeichnet.

Kennen Sie Eugen d` Albert

Erstes Abschlusskonzert der Sommerakademie stellte auch diesen Komponisten vor

Hinrich Alpers sah zufrieden aus. Nein, nicht selbstzufrieden, aber er freute sich sichtlich, als er die zahlreichen Besucher zum ersten Abschlusskonzert der 15. Internationalen Sommerakademie begrüßen konnte, das traditionell im Kloster Medingen stattfindet. Man biegt also schon wieder auf die Zielgerade ein mit diesem Jahrgang, der mit 70 eine Rekordteilnehmerzahl gesehen hatte. Es gab ein umfangreiches und abwechslungsreiches Programm; wieder mit einigen neuen Hörerfahrungen.

Zum Auftakt das einzige Solokonzert für Kontrabass des böhmischen Komponisten Johann Baptist Vanhal (1739 bis 1813). Das reizt einen Tonumfang aus, der sich aus Höhen, die diesem Instrument nie angemessen schienen, bis zu den gewohnten Tiefen in die Gehörgänge der Zuhörer schmeichelte. Das Allegro moderato stellte Jingyi Cui (20/China) vor, die sicher und scheinbar leicht die Wechsel zwischen den Tonlagen (man bedenke, der Bass hat keine Stege wie etwa die Gitarre!) und die Doppelgriffe in der Kadenz bewältigte. Für das folgende Adagio und das Finale, ein Allegro moderato, stand Elisa Schoenlein Jaurena (27/Spanien) bereit. Die Solistin wurde im dritten Satz sicherer, beim singenden Adagio des zweiten blieb Luft nach oben.

Für Joseph Haydns Violinkonzert C-Dur Hob. VIIIa:1 hatten sich Muxiang Zhang (24/China), Marie-Sophie Thiele (20/Dt.) und Juexuan Ren (22/China) vorbereitet. Die ersten beiden Solisten hatten schon überzeugende Vorstellungen in den Akademiekonzerten geliefert und bestätigten selbige auch hier. Mit Lässigkeit, hüpfend und federleicht das Allegro in Satz eins, das Adagio mit ausgelotetem Klang – der langsame Satz ist immer die große Herausforderung zumal bei jungen Solisten, von denen manche lieber ihre Virtuosität in den Vordergrund stellen wollen. Aber auch das Presto von Satz drei kam intensiv und konzentriert im Publikum an.

An dieser Stelle ein Wort zum Kammerorchester Wratisłavia aus Wrocław mit seiner Leiterin Roksana Kwaśnikowska, das mindestens seit zehn Jahren verlässlich an der Seite der jungen Musiker:innen ist. Das Ensemble hat seinen Sound weiter verfeinert und spielt mit einem wunderschönen Timbre. Als Begleiter ist es anschmiegsam und unterstützend und den Solisten in jedem Fall ein großer, sicherer Grund.

Für die Violinensonate solo op. 27,3 des Belgiers Eugène Ysaӱe erhielt Jona Rakoczy (17/Dt.) tosenden Beifall. Das Stück, „Ballade“ genannt, besitzt einen hohen Schwierigkeitsgrad und beginnt sehr düster. Es bleibt insgesamt schwermütig, ist aber ein nachhaltiges Erlebnis für die Zuhörer. Denn der junge Solist bewältigte es fingerflick und sehr souverän.

Mit Tempo, Klarheit und Durchsichtigkeit in lyrisch-intensiver Klangrede interpretierten Zeyu Shen (24) und Ximan Xu (20/ beide China) zwei Etüden von Claude Debussy. Es handelte sich um zwei Stücke aus der Reihe von 12 Klavieretüden, die 1915 entstanden. Debussy beschrieb sie als „eine Warnung an Pianisten, den musikalischen Beruf nur zu ergreifen, wenn sie über bemerkenswerte Hände verfügen.“ Und so nannte er die zu Gehör gebrachten Stücke Nr. V und XI „Für Oktaven“ und „Für Arpeggien“ (gebrochenen Akkorde, in denen die Töne nicht zusammen, sondern nacheinander erklingen). Die beiden Solist:innen besaßen ohne Zweifel die geschickten Hände wie von Debussy gefordert.

Dann stellte Monan Jülch (20/Dt.) diesen gewissen Eugen d`Albert (1864 bis 1932) aus der Überschrift vor mit dem ersten Satz von dessen Klaviersonate fis-moll op. 10. Monsieur d`Albert (er hatte einen französischen Vater, wurde aber in Glasgow geboren) hat mit seiner Frau Teresa in einer Villa in Coswig/Sachsen (bei Dresden) gelebt. Neben dem Gedenken und der Erhaltung des Erbes von Teresa Carreño (die Pianistin war) und Eugen d’Albert gilt die „Villa Teresa“ als  kulturelles Zentrum der gesamten Region. Nachdem Monan Jülch diese Musik auch in der in der attraktiven Villa in Coswig gespielt hatte, kam er damit ins Kloster Medingen! Die Satzbezeichnung lautete „Mäßig, aber leidenschaftlich bewegt“. Der Musiker hielt sich daran. Es ist ein schönes Stück aufregende Romantik, vielleicht auch mit einem Hauch Impressionismus. Monan Jülch ließ sich nur ein klein wenig verführen – denn die Musik ist auch Renommierstück.

Am Ende des Abends stand Ludwig van Beethovens Klavierkonzert Nr. 3 c-moll op. 27. Xinni He (17), Wenwen Zhao (27/beide China) und Taeeun Kim (29/Südkorea) hatten sich die drei Sätze vorgelegt. Das Allegro con brio sah an keiner Stelle einen Haken oder ein Stolpern in den flinken Läufen und mit der Kadenz brillierte die Solistin. Das Adagio des zweiten Satzes kam vielleicht eine Spur zu behäbig und schwer daher; da reißt der Spannungsbogen schnell bei solcher Spielweise. Ein erfrischendes Rondo – Allegro am Schluss, mit einer gewissen Kühnheit, doch frei von virtuoser Effekthascherei. Das war insgesamt ein hochenergetisches Vorwärtsdrängen, jedoch ohne Hetze oder Atemlosigkeit. Bravo! Beethoven schrieb sein Konzert 1800 bis 1803. Eine Anekdote über die Uraufführung, die er selbst spielte, erzählt, dass sein Freund Ignaz Xaver von Seyfried ihm die Notenseiten umblättern sollte und danach sagte, dass darauf bis auf ein paar „mir rein unverständlichen ägyptischen Hieroglyphen“ nichts stand. Ja, Genies können es eben auch so.

Zweieinhalb Stunden erstes Abschlusskonzert. 150 Minuten ausgeloteter Klang und ein freudiges Musizieren miteinander. Zerbrechliches Beben hier, schwelgerischer Ausdruck dort. Es war wieder ein schönes Konzerterlebnis.

Barbara Kaiser – 27. Juli 2024

Jingyi Cui eröffnet das Konzert mit Johann Baptist Vanhals Kontrabaßkonzert
Blumen zum Dank für Äbtissin Dr. Kristin Püttmann

Jona Rakoczy begeistert mit einer Solosonate von Eugène Ysaye

Angeregte Unterhaltung des Publikums während der Konzertpause

Monan Jülch spielt die Klaviersonate von Eugen d’Albert

Wenwen Zhao war die Solistin im 2. Satz des 3. Klavierkonzerts von L.v.Beethoven

Die Solisten im Beethoven-Konzert (v.l.n.r.): Taeeun Kim, Wenwen Zhao, Xinni He

Alle Akteure des Abends auf einem Bild vereint

Ein französischer Abend

Das 3. Akademiekonzert der Sommerakademie bot Noten von Ysaӱe, Fauré und Poulenc

Auch Hercule Poirot, Agatha Christie`s Detektiv, war stets indigniert, wenn man ihn für einen Franzosen hielt. Und so möge es der Belgier unter den Komponisten verzeihen, dass auch er unter „französisch“ subsummiert wird in der Überschrift; aber Ysaӱe war französischsprachiger Belgier. Das dritte Akademiekonzert der Sommerakademie war also französischsprachig und huldigte daneben auch Jubiläen: Dem 100. Todestag von Gabriel Fauré und dem 125. Geburtstag von Francis Poulec. Eine geschichtsträchtige Angelegenheit.  

Eröffnet wurde es allerdings fröhlich: Die Kontrabassisten um Professor Nabil Shehata erfreuten die Zuhörer open air vorm Langhaus mit einer Komposition – oder besser einem Zusammenarrangement – von Peter Grans, der in der südfinnischen Stadt Lohja zu Hause ist. Falls man bis dahin nicht wusste, dass in Skandinavien der Tango ein Thema sein könnte – mit diesem Stück „Memories of the City Turku“ erfuhr man es! Die Bassisten spielten einen herrlich groovenden Sound verschiedener Melodien dieses Ranschmeißer-Rhythmus`, der eigentlich in Südamerika verortet wird. Bis jetzt.

Danach wurde es ernster. Auf dem Programm stand „Exil!“ op. 25 von Eugène Ysaӱe für sechs Geige und zwei Violen. Dafür standen Friederike Remmel (25/Dt.), Kaixiang Wang (21/China), Iris Groh (17/Dt.) Muxiang Zhang (24/China) Marie Sophie Thiele (20/Dt.) und Sona Turabyan (27/Armenien) auf der Bühne. Dazu die Dozenten Stefan Hempel und Piotr Szumieł. Das rund zehnminütige Stück entstand in den USA, es handelt sich also um das Exil des Komponisten (1858 bis 1931). Glücklich kann er dort nicht gewesen sein, denn die Streicher produzierten ein herb-klagendes und tieftrauriges Stück Musik. In seinem langsamen Tempo wuchs die Spannung aus sich heraus, bis es mit einem hohen Ton endete, der am Herzen zog. Beeindruckend.

Es ging mit Dozentenspiel weiter: Hinrich Alpers (Klavier) und Erik Schumann (Violine)  gedachten mit der Sonate Nr. 1 A-Dur op. 3 Gabriel Fauré. Das Stück ist ein Jugendmeisterwerk und erschien 1875. Der Komponist erklärte selbst zu seinem Erfolg: „Es übertraf alle meine Erwartungen.“ Ich habe lange überlegt beim Zuhören, womit die Sonate vergleichbar sei – es ist mir niemand eingefallen. Und da war es gut, dass Camille Saint-Saëns einem das abnimmt. Der schrieb nämlich: „Diese Sonate hat alles, was den Feinschmecker verführen wird: neuartige Formen, exquisite Modulationen, die Verwendung der unerwartesten Rhythmen. Und über all dem schwebt die Magie…“ Und das Wort ist es: Magie! Natürlich nur, wenn die Partitur so dargeboten wird wie von Alpers und Schumann: Erfrischend leichtfüßig, aber nie leichtfertig. Mit vitaler Klangpracht, in der lustvolles Spiel beglückend präsent bleibt. Dazu Alpers mit seinem traumhaften Anschlag und als erfahrener und versierter Kammermusiker. Und Schumann, dessen Geige zu singen versteht und bei dem die Töne alle leicht sind, auch die in Moll. Wunderbar.

Für die folgende Violinsonate d-moll von Francis Poulenc wechselte der Geigenpartner, Hinrich Alpers hatte sich wieder ein großes Programm auferlegt. Nun spielte er mit Stefan Hempel. Die Poulenc-Sonate hat eine Geschichte: Der Komponist führte sie auf im besetzten Paris von 1943 und verbeugte sich damit vor Frederico Garcia Lorca. Während Poulenc sein Bekenntnis den deutschen Faschisten vor die Füße warf, war der Dichter sieben Jahre davor (1936) den spanischen Faschisten zum Opfer gefallen. Sie erschossen den damals größten Poeten Spaniens und  verscharrten seine Leiche. Man bedenke, dass es auch für Poulenc das letzte Konzert hätte gewesen sein können – sein Mut von 1943 ist zu bewundern.

Er bekannte zu seiner Musik, dass es ihm schwer gefallen sei, seine ganze Leidenschaft für Lorca musikalisch zum Ausdruck zu bringen und so sei seine Sonate „leider nicht der beste Poulenc“. Was jedoch an Zerrissenheit, Furor, Melancholie und Esprit erklang imaginierte  Andalusien, die Heimat, die der Dichter einst besungen hatte… Alpers und Hempel interpretierten das Versunkene nicht zu dunkel, das Sprühende nicht zu ausufernd, mit einer energischen Tongebung, die sich jedoch nie in den Vordergrund spielte. Großartig.

Zum Abschluss kamen noch einmal Studenten:innen zu Zuge. Die Geigerinnen Anqi Lai (20/China) und Fiona Zhonghan (21/China) wechselten die Positionen der ersten und zweiten Geige, die Pianistinnen Stephanie Draughon (21/USA) und Paris Chen (20/Taiwan) die Sätze im Klavierquintett Nr. 1 d-moll op. 81 von Gabriel Fauré. Unterstützt wurden sie von den Dozenten Mark Schumann (Violoncello) und Piotr Szumieł (Viola).

Fauré widmete sein Werk Eugène Ysaӱe – womit sich der Kreis des Konzertabends schloss. Das Quintett wurde von Zeitgenossen hoch gelobt, und ein Fauré-Biograf stellte später fest: „Die Gesamtform ist ein einziges Crescendo.“ Das klingt nach Anstrengung, und das war es auch. Mitunter gewann man den Eindruck, dass die jeweils erste Geige zu viel Tempo machte, manchmal das Klavier forcierte. Insgesamt aber waren die drei Sätze ein rücksichtsvoller wie empfindsamer Dialog. Die Musiker:innen waren gegenseitige Anstifter und Animateure. Am Ende wurden alle für eine neue Hörerfahrung vom Publikum mit langanhaltendem Applaus belohnt.

Das Ysaye-Ensemble „Exil!“
Erik Schumann und Hinrich Alpers spielen Faurés 1. Violinsonate
Stefan Hempel spielt Poulencs Violinsonate
Zum Abschluß gab es Gabriel Faurés 1. Klavierquintett d-moll

Barbara  Kaiser – 25. Juli 2024

Aufruhr der musikalischen Farben

Zweites Akademiekonzert brachte Beethoven, Mendelssohn und Williams zu Gehör

Der Beifall war entschieden und langanhaltend. Die Akteure des Klavierquintetts von Ralph Vaughan Williams wurden mehrmals auf die Bühne gerufen und waren sichtbar glücklich ob des gelungenen Auftritts. Es war aber auch wieder einmal eine schöne Entdeckung: Zwischen flirrender Melancholie und klug kalkulierter Emphase. Asier Oroz Mendiola (22/Spanien) saß am Flügel über alle drei Sätze und war der sichere Grund, auf dem sich Muxiang Zhang (24/China) an der Violine, die beiden Kammermusikdozenten Piotr Szumieł (Viola) und Antoantea Emanuilova (Violoncello) und vor allem die Student:innen am Kontrabass: Joris Samson (21/Deutschland), Elisa Schoenlein Jaurena (21/Spanien) und Anton Kammermeier (25/Deutschland) bewegten.

Auf meine Frage letzte Woche an Hinrich Alpers, ob es in diesem Jahr wieder das „Forellenquintett“ gäbe, das im vergangenen Jahr wahre Triumphe feierte, antwortete er nur: Wir spielen diesmal den Williams, aber in „Forellen“-Besetzung! Was Kontrabass heißt. Der Williams ist ein ganz neues Hörgefühl.  Man darf mal an Gershwin denken beim Andante oder an Tschaikowski angesichts des Klavierbombasts.

Das umfangreiche und hervorragend geschriebene Stück, 30 Minuten lang, ist aber Williams. Dieser Komponist, der einen Choral zur Krönung Elisabeths II. arrangierte, die Ritterwürde jedoch mehrmals ablehnte und sich politisch am Sozialismus orientierte. Das ist für eine Künstlerpersönlichkeit bemerkenswert, finde ich. Zumal in seiner Zeit (1872 bis 1958), in der ein Joseph McCarthy seine antikommunistischen Verschwörungstheorien und Denunziationen betrieb (1950/54). Aber das ist eine andere Geschichte…

Der erste Satz des Quintetts, Allegro con fuoco, ist expansiv, geheimnisvoll und voller spätromantischer Leidenschaft, seine Harmonien mögen an Brahms angelehnt sein, aber modisch in den leiseren Passagen gefärbt. Die ausdrucksvolle romantische Melodie des Andante ist charakteristisch für den Komponisten. Das Finale, ein Satz von fünf gut differenzierten Variationen, endet mit einer wunderschön-zarten Coda, der Fine-Ton kommt bei den Akteuren auf den Punkt.

Begonnen hatte der Abend des zweiten Akademiekonzerts mit Ludwig van Beethovens Klaviersonate A-Dur op. 30,1. Kaixiang Wang (21/China)  hatte sich dafür präpariert und interpretierte das Allegro sehr zupackend und flüssig, dabei gestisch genau. Man hätte ihm einen sensibleren Begleiter gewünscht, Daniel Seroussi bediente den Flügel ein wenig aufdringlich und nicht immer tastensicher.

Ansonsten aber war dieser Beethoven, der sich mit der Sonate auf den Weg gemacht hatte zu seinem „heroischen Stil“, hörenswert.  Geschrieben im Jahr des „Heiligenstädter Testaments“, reagierte der 23-jährige Komponist auf seine ganz private persönliche Katastrophe und die politische Lage. Dass er das Stück Zar Alexej widmete, wurde schon damals als Statement gegen Napoleon verstanden.

Mein persönlicher Glanzpunkt der zwei Stunden Musik war allerdings das Klavierquartett h-moll op. 3 von Felix Mendelsohn-Bartholdy aus dem Jahre 1825. Es gibt vier Quartette, die der 13 bis 16-Jährige verfasste, und der Welt damit offenbar zeigen wollte, was er fertig zu bringen in der Lage sein würde. Dieses in h-moll ist Goethe gewidmet; Mendelssohns Lehrer Carl Friedrich Zelter führte seinen Schützling in dessen Haus ein. Der Dichterfürst bewunderte zwar den Meisterschüler seines Freundes als Pianist, zum Quartett hatte er eine eher maliziöse Meinung: „Dieses ewige Wirbeln und Drehen führte mir die Hexentänze des Blocksbergs vor Augen, und ich fand also doch eine Anschauung, die ich der wunderlichen Musik supponiren konnte.”  Der Alte aus Weimar stand also dieser „wunderlichen”, romantischen Musik des jungen Mendelssohn einigermaßen ratlos gegenüber.

Ganz und gar nicht ratlos, die Interpretation betreffend, zeigten sich die Dozenten Piotr Szumieł (Viola), Antoaneta Emanuilova (Violoncello) und Hinrich Alpers (Klavier), die eine wunderbare und große Arbeit ablieferten, um die erst 18-jährige Clara Wedel (Deutschland) an der Violine mit davonzutragen. Das Publikum erlebte eine couragierte und sehr beeindruckende Darbietung  über vier Sätze. Hinrich Alpers leistete ein pianistisches Kolossalprogramm. Das Pathos wurde kanalisiert ohne es zu neutralisieren. Kein überhitzter Ton, und trotzdem fanden die Musiker zu emotionalen Aufschwüngen und waren bevorzugt in den Piani überzeugend. Aus der spieltechnischen Leistung schlugen Funken, aber keiner versuchte, sich auf Kosten des anderen zu profilieren. Diese „Tour de force“ glänzte mit großer Innigkeit und ausgelassener Fröhlichkeit gleichermaßen. Bravo!

Barbara Kaiser – 24. Juli 2024

Kaixiang Wang spielt Beethovens Violinsonate op. 30,1
Clara Wedel führt von der Geige aus das Klavierquartett h-moll von Felix Mendelssohn Bartholdy an.
v.r.n.l. Piotr Szumiel (Viola), Antoaneta Emanuilova (Cello) und Hinrich Alpers (Klavier) sind auch dabei.
Wieder einmal beste Laune in der Pause
Asier Oroz Mendiola im Klavierquintett von R.V. Williams
Schlußapplaus für Williams
… wenn statt Flügeln Beine wachsen

Zauber der Nuancen und Farben

Klänge zwischen Beethoven und Paganini, Mozart, Skrjabin und Rachmaninow beim 1. Akademiekonzert

Gewitter und Regen hatten die Zuhörer nicht abhalten können, beim ersten Akademiekonzert der Sommerakademie dabei zu sein. Und auch wenn in den ersten Satz von Mozarts Klavierquartett die Oldenstädter Feuerwehrsirene heulte, man in der Pause nur mit Schirm ans alkoholische Getränk zu gelangen vermochte – die musikalischen Darbietungen, die ersten Lernerfolge, hatten das Kommen gelohnt.

Und so hatte Gründer und künstlerischer Leiter Hinrich Alpers allen Grund, sich zu bedanken: Bei allen Unterstützern. „Die Zahl der Teilnehmer macht uns glücklich, aber auch sehr viel Arbeit“, sagte er. Zudem war an zwei unermüdliche ehrenamtliche Helfer zu erinnern: Maren Henk, die die ganzen 15 Jahre mitgearbeitet hatte, starb im April nach langer Krankheit. Und am Tag des Konzerts erhielten die Veranstalter die Nachricht, dass Hans-Jürgen Wandtke ebenfalls nicht mehr an den Töpfen in der Küche stehen würde, was er verlässlich fünf Jahre getan hatte. Die mit Blumen und einer Kerze geschmückten Bilder der Beiden halten zumindest für diese Sommerakademie die Erinnerung wach.

Die schwere Bürde des Beginnens oblag dann Asier Oroz Mendiola. Sein Spiel der Sonate-Fantaisie gis-moll op. 19 von Alexander Skrjabin verlieh diesem Artikel die Überschrift: Der 22-jährige Spanier entfaltete  die zwei Sätze, Andante und Presto, voller Zauber in Nuancen und Farben. Der Komponist selbst hatte erklärt, er sei durch das Meer zu seinen Noten inspiriert worden. Er erlebte es offenbar als glitzernde, ruhige Fläche und als tosend-aufgewühltes Element. Man darf die Partitur durchaus in die Nähe des Impressionismus rücken.

Die folgende Violinsonate G-Dur op. 96 von Ludwig van Beethoven hatten sich die beiden Professoren Stephan Picard und Hinrich Alpers aufs Pult gelegt. Es ist kein heroischer Beethoven, der die zehnte Violinsonate 1812 schrieb. Keine vordergründigen Effekte, keine konzertante Virtuosität – dafür verinnerlichte Poesie, introvertierte Musik mit vielfältig abgestuften Pianograden. Man erahnt Schubert und denkt an des Komponisten viertes Klavierkonzert.

Stephan Picard ist ein Violinist zum Anbeten, das Adagio von Satz zwei zum Niederknien, der vierte Satz mit Kadenzcharakter und 32-tel Läufen voller mitreißendem Schwung. Freundlich wiegende Melodiebögen dazu. Hinrich Alpers am Flügel blieb an seiner Seite. Insgesamt ein Hörgenuss!

Für Atemlosigkeit sorgte danach Fiona Zhonghan Chen. Die 21-jährige Chinesin spielte die Caprice a-moll op. 1 von Niccolò Paganini. Die letzte der 24 Capricen gilt als eins der schwierigsten Stücke, das für Solovioline geschrieben wurde. Die spieltechnische Leistung war dann auch phänomenal, die erforderte schnelle Wechsel über viele Intervalle, extrem schnelle Tonleitern, hohe Lagen, Doppelgriffe und Pizzicati in der linken Hand. Publikum und Mitstudenten:innen bejubelten den Vortrag völlig zu Recht.

Nach der Pause erspielte sich Shuri Soga mit den Corelli-Variationen von Sergej Rachmaninow op. 42 ganz bestimmt zahlreiche Sympathien, auch wenn er die Anzahl der Variationen (20) halbierte. Mit entschleunigter Präzision in den langsamen Passagen, selbstbewusst und entschlossen, gar mit großer sinfonischer Geste, hinterließ der 25-jährige Japaner einen tiefen Eindruck.

Zum Abschluss des Konzerts wechselten die Besetzung der Instrumente bei Mozarts Klavierquartett g-moll KV 478 mit den Sätzen durch. Die Geige strichen Kosima Shirazi (22/Dt.), Yumeng Fu (16/China) und Marie Sophie Thiele (20/Dt.). An der Bratsche saßen Ziqi Mo (21/China) und Sona Turabyan (26/Armenien). Den Violincello-Part behielt für alle drei Sätze die kammermusikalische Partnerin, Dozentin Antonaeta Emanuilova. Am Klavier saß zunächst Professorin Sheila Arnold, für den dritten Satz war Josè Borges (24/Portugal) präpariert.

Es mag sein, dass an manchen Stellen die Minuten der Sätze zu einer Reihung mehr oder weniger intensiver Momente zerbröselte. Kammermusiker sollen ja, sagen Mediziner und so zeigen es Tests, die gleiche Herz- und Atemfrequenz haben beim Spielen. Bei diesen Quartett-Formationen war es noch nicht ganz so weit  – dafür waren einige viel zu aufgeregt -, aber ein aufeinander Hören unübersehbar. Und am Ende gelang das Rondo in schöner  Eleganz. Verdienten Beifall nach 120 Konzertminuten gab es für alle Akteure am Ende.

Stephan Picard spielt Beethovens Violinsonate op. 96
Fiona Zhonghan Chen begeistert mit einer Paganini-Caprice
Das Klavierquartett g-moll von Mozart erklingt mit verteilten Rollen
Gute Laune auch unter den zuhörenden Teilnehmern
Im Gedenken an Maren Henk und Hans-Jürgen Wandtke

Barbara Kaiser – 22. Juli 2024

Der 15. Jahrgang der Internationalen Sommerakademie ist eröffnet

70 Teilnehmer:innen  kommen aus der ganzen Welt: zwischen Japan und den USA

Die Luft auf dem Areal des historischen Zentrums Oldenstadt ist erfüllt von Tönen als schwängen hunderte Äolsharfen. Dabei übt ein Pianist eine Passage Beethoven, immer wieder, eine Geigerin Tonleitern in atemberaubendem Prestissimo – die 15. Internationale Sommerakademie ist eröffnet!

Nein, der afrikanische Kontinent ist nicht vertreten. Darf man sagen: Noch nicht? Ansonsten jedoch kommen die 70 Teilnehmer:innen aus der ganzen Welt. Ein Übergewicht aus dem asiatischen Raum ist wie in den letzten Jahren auffällig. Aber zwischen Estland und Belgien ist auch Europa gut aufgestellt. Die geografischen Daten sind aber immer unerheblich gewesen; in den nächsten zehn Tagen wird es in Uelzen um die Musik gehen. Um Sololeistungen und Ensembledarbietungen, am letzten Wochenende wird das allen Freunden und Unterstützern dieser Meisterklassen wohlbekannte Kammerorchester „Wratislavia“ aus Wrocław dazukommen. Die Freude angesichts dieser geballten Portion meisterhaft gespielter Noten ist greifbar.

Ist man angesichts des Zeitraums und des ungebrochenen Interesses glücklich, Herr Professor Hinrich Alpers? Auf jeden Fall sah der Gründer und künstlerische Leiter zufrieden aus. Dass es losgeht, dass die Akademie in den vergangenen 15 Jahren alle Fährnisse überstand und auch die Unkenrufer eines Besseren belehrt wurden. „Ja, das 15. Mal ist wirklich toll. Wie das alles damals angefangen hat, relativ schlicht und doch im Grunde schon in allem dem Heutigen so ähnlich“, sagte er im Vorab-Interview.  Es wird wiedermal einen Bratschenkurs geben wie zuletzt 2021. Ansonsten bleibt das Programm zwischen Klavier und Kontrabass bei den drei Akademiekonzerten, zwei Abschlusskonzerten und den täglichen Mittagskonzerten.

„It`s a great pleasure to welcome you here“, begrüße Hinrich Alpers die Anwesenden. Und: Er habe damals nach dem ersten Mal gedacht, vielleicht ein zweites Mal, „maybe a third time..:“. Die Sommerakademie ist und bleibt eine Erfolgsgeschichte nicht nur wegen der künstlerischen Leistungen, auch und vielleicht vor allem wegen der treuen Sponsoren (Stadt, Landkreis, Uelzener Versicherung, regionale Sparkasse) und vielen ehrenamtlichen Helfern um Birgit Alpers-Meyer.

Björn Hoppenstedt als Vertreter des Landkreises Uelzen brachte es dann wohl auch auf den Punkt, als er sagte: Die Sommerakademie als „a great event“ beeindrucke und man sei in Stadt und Landkreis stolz darauf, diese künstlerische Qualität hier beherbergen zu dürfen.

„Nach der Akademie 2020 hatte ich die Gewissheit, dass uns so schnell nichts mehr aus der Bahn werfen wird!“, bekannte Hinrich Alpers, die vielleicht schwierigste Veranstaltung während der Corona-Pandemie resümierend. Und so können sich die Konzertbesucher über die Internationalität, die von Beginn an stark ausgeprägt war, und das künstlerische Niveau der Teilnehmer –  „wir haben von Anfang an Spitzenleistungen gehört“ – freuen.

Neben der alljährlichen Fotoausstellung von Hans Lepel in der Galerie Oldenstadt öffnet am Samstag auch wieder eine Schau mit Bildern von Künstler:innen des Bundes Bildender Künstler Uelzen. Thema: „Farbige Töne“. Ein herzliches Willkommen also den Studenten und Dozenten und auf ein freundliches, kreatives, respektvolles Miteinander.

Barbara Kaiser – 19. Juli 2024

Auch dies ist eine Tradition: „Familienphoto“ zu Beginn
Die Sommerakademie dankt für die großzügige Unterstützung der Sponsoren!
Es kann losgehen …

Noten gibt es nirgends

Zur BBK-Ausstellung anlässlich der 15. Internationalen Sommerakademie

Man müsste es ja einmal machen: Den Künstler:innen des Bundes Bildender Künstler (BBK) ein Musikstück vorgeben und ihnen die Aufgabe  stellen, ein Bild dazu zu erschaffen. Modest Mussorgski hat es umgekehrt vollbracht: Er komponierte die berühmten „Bilder einer Ausstellung“ zu Gemälden und Zeichnungen seines verstorbenen Freundes Viktor Hartmann. Im Jahr 1874 waren die in der Akademie der Künste in St. Petersburg zu sehen gewesen und hatten Mussorgski inspiriert. Es ist fast 20 Jahre her, da drehte die Künstlerin Rena Meyer das Ganze wieder um und malte zu Mussorgskis Musik, stellte das Produkt im Ratssaal vor und die taiwanesische Pianistin Hui-Ping Lan spielte die Noten dazu. Es war eine sehr schöne Veranstaltung!

Was also würden die 14 an der neuen Ausstellung teilnehmenden Künstlerinnen und Künstler zu Mussorgski gemacht haben? Oder beispielsweise zu Beethovens „Mondscheinsonate“, der Sonate Nr. 14, op. 27, cis-moll? Eine Vollmondnacht mit glitzerndem See oder die Mondlandung? Oder gar das sowjetische Mondmobil „Lunachod“? Beethoven selbst nannte sein Werk ja gar nicht nach dem Mond, sondern nur Sonata quasi una Fantasia. – Griffen die Maler:innen bei Wagners Brachialgewalt mehr in die Farbtöpfe und tupften sie bei Vivaldi nur zart?

Leider macht man das ja nie; den Künstlern Vorschriften. Und deshalb ist bei der BBK-Ausstellung in Oldenstadt, die anlässlich der 15. Internationalen Sommerakademie geplant wurde, herausgekommen, was nun gezeigt wird. Eigentlich verspricht der Titel „Farbige Töne“. Aber so einfach ist es nicht. Also, mit Beethoven: „una Fantasia“! Man muss mehr Fantasie wagen beim Besuch.

Zu konstatieren bleibt, dass sich alle selbst treu geblieben sind. Georg Lipinsky nennt seine Collagen „An-Klänge“ und wildert gleich mal bei Gustav Klimt. Kerstin Sørensen malte in ihrer unnachahmlich-leichten Art und Weise ein weites „Kornfeld“, da fällt es nicht schwer, eine Melodie rauschen zu hören. Bei Beata Krampikowskis Diptychon „Gehölz“ fällt mir trotz des ein wenig klobigen Namens die Dr.-Schiwago-Melodie ein! Und Renate Schmidt brachte „Farbige Töne… aus meinem Garten“ mit; Fotoschnipsel verschiedener Florakinder, zwischen Forsythie, Margerite und Pusteblume. Bei Jutta Weingartens „Orientalisches Schaufenster“ erklingen im Kopf die Zurna, diese spezielle Flöte Arabiens, oder die typische Handtrommel mit den lustigen Schellen. Obwohl das Bild mit Tajine und Pantoffeln – ja, wo entstand?

Kerstin Voß nennt ihre zwei Bilder „Wiesenluft“. Auch wenn sie recht dunkel sind – „Wiesenluft“ in Moll – hört man vielleicht das eine oder andere (sanfte) Instrument, das Luft zum Töne erzeugen benötigt. Oder denkt man eine Äolsharfe? Jochen Quast steuert zur Ausstellung drei Fotos bei: „Woyzeck – Backstage“ heißen die und zeigen die Protagonisten aus Büchners Drama, wie sie hinter der Bühne auf ihre Auftritte warten. Mit „farbigen Tönen“ hat das wenig zu tun, aber es gibt ja wenigstens die gleichnamige Oper („Wozzeck“) von Alban Berg und sogar noch ein Ballett.

Mein Favorit unter allen zweieinhalb Dutzend Arbeiten sind die drei Blätter von Claudia Krieghoff-Fraatz. Sie heißen „Partitur der Farben“, „Farbakkord in Moll“ und „Farbakkord in Dur“. Es sind zauberhaft bunte Aquarelle, angesichts derer eine musikalische Welt vorstellbar wird. Man hätte gerne gewusst, welche Musik die Künstlerin im Ohr hatte!

Und so sind einige Werke dieser insgesamt jedoch sehenswerten Ausstellung Seelenlandschaften und/oder Sinnbilder. Manche führen durchaus ein magisches Eigenleben, andere bleiben unzugänglich. Zumindest für das Thema. Denn wie sagte es Modest Mussorgski: „Die Kunst ist ein Mittel zur Aussprache mit den Menschen, nicht aber ihr Zweck an sich.“ Manchmal scheint aber bei manchen Werken ziemlich viel `nur Zweck` zu sein.

Vernissage zur Schau ist am Samstag, 20. Juli 2024, um 17 Uhr, im BBK-Ausstellungsraum Oldenstadt. Geöffnet ist stets zu den Konzertzeiten der Sommerakademie bis Sonntag, 28. Juli 2024. Daneben werden im Langhaus wieder die Fotoimpressionen der 2023er Sommerakademie von Hans Lepel gezeigt.

Georg Lipinsky: „An-Klänge“
Claudia Krieghoff-Fraatz: „Partitur der Farben“

Barbara Kaiser – 18. Juli 2024